Im Folgenden stellen wir Ihnen die relevanten Zeichen für das Singen und Sprechen im Deutschen vor.
Abbildung 1: Konsonanten aus Kohler (2003), graphisch angepasst.
Abbildung 1 zeigt Konsonanten, die in Artikulationsarten (vertikal) sowie Artikulationsstellen (horizontal) aufgeteilt sind, und darüber hinaus auch immer in Paaren aus stimmhaften und stimmlosen Lauten erscheinen.
Abbildung 2 zeigt das sogenannte Vokaltrapez. Hier wird der Zungenraum durch die Zungenhöhe (geschlossen - offen) und -position (vorne – hinten) abgebildet und die Zeichen für die zahlreichen Vokale im Deutschen an den entsprechenden Stellen positioniert. Je nach Gesangstradition, Stimmlage oder auch individuellem Gebrauch der Stimme können die Positionen der Vokale im Trapez stärker variieren.
Abbildung 3 zeigt noch einmal das Vokaltrapez, nun im Zusammenhang mit den Diphthongen beim Singen im Deutschen. Wir möchten darauf hinweisen, dass es hier Unterschiede bei der Transkription im Vergleich zur gesprochenen Sprache gibt.
Abbildung 2: Vokale aus Kohler (2003), graphisch angepasst. Abbildung 3: Diphthonge aus Kohler (2003), angepasst an das Singen.
Für unsere Transkriptionen haben wir den Artikel von Klaus Kohler zur Phonologie des Deutschen im Handbook of the International Phonetic Association herangezogen und angepasst. Spezielle Aspekte zum Singen auf Deutsch im Zusammenhang mit IPA listet das Handbook of Diction for Singers (²2008) von David Adams auf.
Die Aussprache von Liedtexten, insbesondere im klassischen Gesang, unterscheidet sich in einigen Punkten von der Aussprache beim Sprechen, wie die schon erwähnten Diphthonge im Deutschen. Die Abweichung in der Transkription zwischen gesprochenem und gesungenem Text ist beispielsweise durch eine tiefere Position des Kehlkopfes im klassischen Gesang zu erklären.
Das »r« im Deutschen ist ebenfalls ein Sonderfall. Da es sich bei diesem Laut um ein Allophon handelt, gibt es mehrere Aussprachemöglichkeiten, beispielsweise als Tap, Trill, Frikativ oder als einen tiefen Schwa-Laut. Ein »r« am Wort- oder Silbenende wird allerdings nur selten als Trill oder Tap ausgesprochen, sondern in der Regel als ein tiefer Schwa-Laut. An manchen Stellen kann die Aussprache auch den Gestus der Musik oder die Bedeutung des Textes unterstreichen. Dies ist aber auch häufig vom gewählten Tempo abhängig. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass in der Phrase »Still und klar ruht der See« aus dem bekannten deutschen Volkslied »Leise rieselt der Schnee« die Wörter »klar« und »ruht« jeweils mit einem Trill oder Tab auszusprechen sind, um der Ruhe und dem statischen Gestus des Liedes an dieser Stelle Ausdruck zu verleihen. Wenn das gewählte Tempo allerdings schneller ist, ist von einer solch deutlichen Aussprache des Wortes »klar« Abstand zu nehmen. Das »r« wird zwangsläufig zu einem tiefen Schwa oder mit dem darauffolgenden Trill oder Tab zusammengezogen. Bei Unsicherheiten in der Aussprache ist es ratsam, Audioaufnahmen miteinzubeziehen. Hinweise zu exemplarischen Aufnahmen finden sich am Ende dieses Bandes.
Die Aspiration im Deutschen ist im Gesang tendenziell kürzer als beim Sprechen. Neben der lautschriftlichen Transkription sollte man sich in diesen Fällen am originalen orthographischen Text orientieren, der zeigt, wie lange die Aspiration bzw. VOT (voice-onset-time) zu sein hat. Auch hier ist ein Vergleich mit Audioaufnahmen sinnvoll, da sich die Dauer der VOT besonders von Sprache zu Sprache unterscheidet und deshalb nur schlecht schriftlich festhalten lässt.
Grundsätzlich gehen wir nicht davon aus, dass sich die phonetischen Transkriptionen für Chor und solistischen Gesang abgesehen von kleinen Ausnahmen grundsätzlich unterscheiden. Der wesentliche Unterschied zwischen unterschiedlichen Gesangsarten liegt dabei häufig in der Stimmgebung und dem Einsatz von Formanten, die mit dem IPA nicht oder nur bedingt ausgedrückt werden können. Weitere linguistisch relevante Vorgehensweisen und Entscheidungen sind im folgenden Allgemeinen Kritischen Bericht zu finden.
Weiterführende Literatur
Kohler: German. International Phonetic Association: Handbook of the International Phonetic Association: A Guide to the Use of the International Phonetic Alphabet. Cambridge: Cambridge University Press, 2003.
Adams, David. A Handbook of Diction for Singers: Italian, German, French. New York: Oxford University Press, (2008).
Karna, Duane R.: The Use of the International Phonetic Alphabet in the Choral Rehearsal. Lanham, Maryland: Rowman & Littlefield (2012).
Allgemeiner Kritischer Bericht
Da der Fokus der Ausgaben auf der korrekten Aussprache beim Singen liegt, ist der kritische Bericht bewusst kurzgehalten. Aus philologischer, musikwissenschaftlicher und linguistischer Sicht sind jedoch einige Grundsatzentscheidungen bei dieser Edition getroffen worden, die wir nicht gänzlich unkommentiert lassen wollen.
Auf eckige Klammern oder Querstriche zur Kennzeichnung einer phonetischen oder phonologischen Transkription wurde zu Gunsten einer Hervorhebung durch einen fetten Text verzichtet.
Betonungen werden anhand von Wortbetonungen beim Sprechen vergeben. Dabei verwenden wir Primär- und Sekundärbetonungen, die sich besonders bei längeren Wörtern nicht unbedingt mit der musikalischen Phrase decken müssen. Akzentuierungen werden nicht angezeigt, ergeben sich aber in aller Regel aus der musikalischen Phrasierung. In Ausnahmefällen können auch Wortbetonungen angegeben werden, die sich durch eine Reimstruktur ergeben, die aber womöglich gegen eine als natürlich empfundene Wortbetonung laufen können. In diesen Sonderfällen wird in aller Regel auf eine Sekundärbetonung zurückgegriffen.
Abbildung 4: Beispiel für Primär- und Sekundärbetonung im Liederkreis von Robert Schumann. Die Primärbetonung wird als ˈ und die Sekundärbetonung als ˌ notiert.
Einzelne Silben werden nicht wie üblich durch Interpunktion, sondern durch Bindestriche gekennzeichnet. Analog zum orthographischen Text werden außer den Bindestrichen auch Unterstriche an Wortenden verwendet, um damit das Lesen der Transkription zu erleichtern.
Silbengrenzen werden systematisch verschoben, wenn am Ende einer Silbe innerhalb eines Wortes Konsonanten vorkommen. In diesen Fällen werden diese Konsonanten zu dem Onset, also dem Beginn der darauffolgenden Silbe, hinzugezogen. Von dieser Regel wird nur in Ausnahmefällen, wie bei der Kombination mit äußerst kurzen Notenwerten, abgewichen. Nachvollziehbar wird diese Vorgehensweise besonders in Kombination mit längeren Notenwerten und Melismen, da es ein erklärtes Ziel von vielen Sänger*innen ist, möglichst lang auf sonoren Lauten, wie beispielsweise Vokalen zu verweilen.
Diphthonge werden gänzlich anders übertragen als beim Sprechen, wie Abbildung 3 zu entnehmen ist. Dabei wird auch Rücksicht darauf genommen, dass beim Singen der erste Vokal des Diphthongs in aller Regel länger gesungen wird als zweite Vokal bzw. der Übergang/Transition von einem Vokal zum andern, der in der Transkription nicht bzw. nur unzureichend festgehalten werden kann. Unteranderem durch die oft tiefere Position des Kehlkopfes im klassischen Gesang kann die Übertragung des jeweils zweiten Vokals erklärt werden.
Das »r« im Deutschen kann wie unter IPA im Deutschen bereits beschrieben auf sehr viele unterschiedliche Arten und Weisen ausgesprochen werden. Aufgrund dieser Komplexität haben wir uns in der Regel für die einfachste Variante, häufig mit tiefem Schwa entschieden. Hier besteht aber häufig die Möglichkeit, die Aussprache nach Vorlieben und je nach Interpretation individuell anzupassen. Deshalb sind die Transkriptionen an diesen Stellen als Vorschläge aber nicht als statische Vorschriften für die Aussprache zu beurteilen. Anmerkung: Besonders im solistischen Gesang ist die Variante mit Trill/Tap am Ende eines Wortes oder Silbe in einigen Gesangsschulen noch gebräuchlich. Es handelt sich hier häufig um eine Entscheidung des Transkribenten bzw. der Transkribentin, welche Laute in diesen Fällen bevorzugt werden.
Die Aspiration bei Konsonanten wird nicht transkribiert, da sie aufgrund phonologischer Regeln vorhersagbar ist und außerdem beim Singen tendenziell geringer ausfällt als beim Sprechen. Das gilt besonders für solistisches Singen.
Mit einer Liaison wird an einigen Stellen angedeutet, dass es sich ursprünglich um zwei Wörter handelt, die aber aufgrund der Schreibung oder der Komposition wie ein Wort auszusprechen sind. Ziel ist eine bessere Orientierung in Bezug zur originalen orthographischen Schreibweise.
Die originale Schreibweise des Liedtextes, die der als Vorlage verwendeten Ausgabe entnommen ist, werden in aller Regel beibehalten und nicht normalisiert. Wir gehen generell davon aus, dass in älteren Schreibweisen auch Informationen zur Aussprache enthalten sein können.